Gedenkstätte
Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz
„Wir aber wollen Male aufstellen Euch zum Gedächtnis“
(Ricarda Huch)
Gedenkstätte für die Opfer der NS-Justiz an der Deutschen Richterakademie in Trier
Im Gedenken an die Männer und Frauen, denen während der Herrschaft der Nationalsozialisten im Namen des deutschen Volkes Unrecht angetan wurde, ist an der Deutschen Richterakademie in Trier im Jahr 1989 eine Mahnstätte errichtet worden. Der künstlerische Entwurf des Mahnmals stammt von der 1925 geborenen Bildhauerin Gabriele Marwede. Er wurde in einem vom Bundesministerium der Justiz
ausgeschriebenen Wettbewerb unter 10 eingereichten Entwürfen ausgewählt.
Gabriele Marwede hat zu Ihrem Entwurf folgende Erläuterung gegeben:
„Um das bedrückende Geschehen, die belastende Vergangenheit in einer Gedenkstätte durch eine Skulptur fassbar zu machen, schien mir der Verzicht auf alles „Literarische“ geboten.
Ich habe für meinen Entwurf einen „Kopf“ gewählt, um die Betonung auf das Einzelschicksal zu legen, auf den einzelnen Menschen, als Opfer und Täter.
Die Skulptur mit dem Verbergen der Augen soll ein Zeichen sein für
- Abwesenheit von Recht unter der Willkür und dem Machtmissbrauch Hitlers,
- Widerstand
- Sichverweigern des Einzelnen, der für seine Überzeugung leidet und stirbt,
- Handeln aus persönlichem Gewissen, geistiger Pflicht – gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft,
- Sichverhüllen vor äußerstem Grauen.
Die tausende Todesurteile, die von der Strafjustiz im Dritten Reich verhängt wurden, bleiben gewissermaßen abstrakt, nicht so das einzelne, fassbare Schicksal. Immer musste dieses – oft sehr isoliert – gelebt werden, bis hin zum Tode.
Der Kopf drückt aber auch aus, dass physische Vernichtung das letzte nicht ist.
Meiner Vorstellung von der Strenge der Gesamtanlage entspricht die im Umriss sehr geschlossene Form des Kopfes, die ernste, kompakte, dunkle Bronze.
Der Sockel sollte aus hellem, dichtem Muschelkalk bestehen und von großflächigen, grob gesägten Platten aus dem gleichen Material umgeben sein.
Die im Boden eingelassene Bronzeplatte mit dem scharfen Winkel stellt ein der organischen Form des Kopfes wesentlich entgegengesetztes Element dar, das Gewalt assoziiert.
Die Aufstellung des Kopfes denke ich mir in Augenhöhe. Das Vor-Augen-Stellen geschieht in der Hoffnung, den Betrachter sehr unmittelbar zum Nachdenken zu bewegen, zum Schärfen des Bewusstseins für Verantwortlichkeit (auch Schuld) des Einzelnen (also kein Ableiten der persönlichen Verantwortung auf ein übergeordnetes System, eine höhere Instanz).
Auf diese Weise soll Betroffenheit bewirkt werden, ein Anstoß, sich mit der Rolle der Justiz im Dritten Reich auseinanderzusetzen.
Gabriele Marwede“
Dokumentation des Wettbewerbs
Das Bundesministerium der Justiz hat 1989 eine Dokumentation des dort ausgeschriebenen Wettbewerbs zur Errichtung der Gedenkstätte herausgegeben. In ihr wendet sich der damalige Bundesminister der Justiz, Hans A. Engelhard (1939 - 2008), an die Besucher der Deutschen Richterakademie:
„An die Besucher der Deutschen Richterakademie!
„In den Abgründen des Unrechts findest Du immer die größte Sorgfalt für den Schein des Rechts.“
Dieser Satz, den Pestalozzi über 100 Jahre vor der Machtergreifung Hitlers schrieb, bringt genau den Kern der Verstrickung der deutschen Justiz in das nationalsozialistische Unrechtssystem zum Ausdruck. Es waren Juristen, die den Schein der Rechtsstaatlichkeit aufrechterhielten, die bestehendes Recht in nationalsozialistischem Sinne auslegten und schließlich als Teil der Vernichtungsmaschinerie gegen politische Gegner und rassische Minderheiten wirkten.
Nach dem Kriege wurden die Deutschen mit dem ganzen Ausmaß der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft konfrontiert. Aber statt sich der eigenen Geschichte zu stellen, wurde die Vergangenheit verdrängt, heruntergespielt. Auch Justizjuristen gehörten zu denen, denen es gelang, die Verstrickung in das Unrechtssystem zu bagatellisieren: Kaum einer wurde zur Rechenschaft gezogen. Erst heute - über 40 Jahre nach dem Ende der NS-Diktatur - fragen wir deutlicher und offener nach der Mitwirkung der damaligen Justiz am Unrecht und nach den Versäumnissen der Nachkriegsjahre.
Eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Vergangenheit, innere Anteilnahme an den damaligen Ereignissen und echte Betroffenheit über die unglaublichen Verbrechen erreichen wir nur, wenn wir die Erinnerung an die Opfer wach halten.
Das Mahnmal für die Opfer der NS-Justiz an der Richterakademie in Trier soll Sie, die Sie hier verweilen, zur Auseinandersetzung mit der Geschichte ebenso anregen wie dazu, eigenes Denken und Handeln ständig zu überprüfen und bewusst darüber zu wachen, dass die Justiz einer der Garanten des freiheitlichen Rechtsstaats bleibt. Es soll aber auch dazu beitragen, Ihre Fähigkeit zum Mitleiden, zur Identifikation mit den Opfern zu bewahren.
Hans A. Engelhard
Bundesminister der Justiz“
Der neunköpfigen Jury des Wettbewerbs gehörten auch zwei Vertreter der Weiße- Rose-Stiftung an. Deren damaliger Vorsitzender und heutiger Ehrenvorsitzender, Franz J. Müller, verfasste für die Dokumentation des Künstlerwettbewerbs den folgenden Beitrag:
„Wir aber wollen Male aufstellen Euch zum Gedächtnis“
(Ricarda Huch 1945, aus einem Gedicht an die Opfer des deutschen Widerstands)
Der Volksgerichtshof verurteilte über 5.000 Frauen und Männer zum Tode, mehr noch zu langjährigen Haftstrafen.
Die NS-Sondergerichte sprachen ähnlich „Recht“. Bitteres Unrecht für so viele, großes Leid für die Angehörigen …
Es gibt über 40 Jahre danach keine Stätte der Mahnung und Erinnerung daran. Es gibt über 40 Jahre danach jedoch die Einstellung aller Ermittlungen gegen Richter und Staatsanwälte des Volksgerichtshofs.
Es bleibt unbegreifliche Tatsache, dass die Justiz der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 ihre schreckliche Hypothek aus der Nazizeit nicht abtrug, sich nicht selbst der Katharsis unterzog.
Das Denkmal für die Opfer der NS-Justiz, das nun an der Richterakademie in Trier errichtet wurde, wurde folgerichtig nicht von der Justiz initiiert, sondern von Überlebenden des deutschen Widerstands.
Aus zehn eingereichten Entwürfen für Trier einigte sich die Jury, der zwei Vertreter der Weißen Rose angehörten, die Plastik von Frau Marwede zu empfehlen. Die Verschlossenheit, das Abweisende dieses Entwurfs zwingt zum Einlassen, zum Eindringen. Damit, glauben wir von der Weißen Rose, ein forderndes Zeichen mitgewählt zu haben.
Wir wünschen uns, dass nach Trier auch in Karlsruhe ein Gedenkzeichen an die Opfer der NS-Justiz erinnern wird.
Weiße Rose-Stiftung
Franz J. Müller
1. Vorsitzender“